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Alles, was wir wollen

Sie stand da. Zweifellos stand sie an der Ampel einer Kreuzung. Aber irgendwie versetzt. Es war klar, dass sie die Straße nicht überqueren würde. Es regnete. Zum Glück. Seit drei Tagen schon, war die Luft kurz vor flüssig gewesen. Er saß schon seit gut 90 Minuten in dem Cafe auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung und beobachtete sie. Sie war nicht erst das spannendste am Platz, seit es begonnen hatte zu regnen, sondern ihm war aufgefallen, dass sie schon da gestanden hat, als man noch hätte meinen können, der Scharlatan vom Wetterbericht hätte das ganze Land frech durch den Ether belogen.

Den Moment als sie in Sicht gekommen war, hatte er verpasst, sodass er nicht hätte sagen können, wo sie hergekommen war. Sie war unter den Markisen der Läden entlang der Straße geschlurft und hatte sich dann in der prallen Sonne dort an der Kreuzung postiert, als mache sie nur ihren Job. Als gehöre das so. Als wisse sie, dass nur indem sie diese gewisse Selbstverständlichkeit suggeriert, sie den Eindruck ein Fremdkörper zu sein, soweit relativiert, dass sie wohl kaum angesprochen würde. Schon da hatte sie ausgesehen, als sei sie eben noch durch drei Pfützen gezogen worden und hätte sich in ihren kurzen Shorts, dem schmalen Tanktop und den Birkenstocks nur schnell wieder trocken gelaufen, um jetzt wieder im Regen zu stehen. Er sah sie sich an. Das Tattoo am Schienbein war auf die Entfernung nur als Tattoo aber nicht eindeutig zu erkennen. Und dass es sauber gestochen war. Irgendwie schienen die dunklen Linien auch von weitem so frisch. Wie etwas, das sonst leuchtet. Er konnte sehen, dass sie vor 6 Monaten entschieden hatte die Dreadlocks, die sie etwa ebensolang erstrebenswert gefunden hat, doch wieder herauswachsen zu lassen. Nochmal würde sie sich nicht den Kopf rasieren. Diese Phase war vorbei. Sie war so dünn.

-Camilla hatte er mal zum ficken über Tinder gedatet und einer ihrer blondierten Dreads war in seinem Mund gelandet, als Camilla ihn ritt. Dieser dreckige Zopf hatte ihm einen Herpes beschehrt.-

Ihre Shorts hätten bei Frauen, die er immer noch sexy gefunden hätte, stramm die Figur betont. Das nasse Tanktop aber klebte an ihrem Körper.

Das einzige Mal, dass sie sich wirklich bewegte, war, als sie einen kleinen Schritt tat, weil sich unter ihr wohl eine Pfütze bildete. Er sah konsequent zu ihr und dachte an Unebenheiten im urbanen Raum, in denen sich versehentlich Wasser sammeln konnte und die Austrahlung dieser jungen Frau und seine letzte Geschlechtskrankheit nach.

Auch er saß da, mit seinen divers befleckten, an den Sohlen eingerissenen Birkis an den Füßen. Im Cafe. An der selben Kreuzung. Unter einer Markise. Er drehte sich auf seinem harten, leichten Alustuhl um, ob er so allein war wie er sich fühlte, um aufzustehen und sich um ein Gefühl zu kümmern, zu dem er nur durch Nachdenken keinen Zugang bekam. Er trat unter der Markise hervor und suchte sich die nächste Unebenheit im Gehweg, zog einen Fuß aus seinem Sandalenschuh, tauchte Zehen und Ballen ins Wasser und sofort nachdem er seinen Fuß wieder heineingesteckt hatte, bekam er was ihm gefehlt hatte.

Die tote äußerste Hautschicht seiner Füße traf auf die tote Haut seiner Füße, die er zwei Sommer lang in die Sohlen aus diesem Korklatexgemisch seiner Birkis gelatscht hatte. Sein Gehirn spulte sämtliche Vergleiche zu diesem Gefühl ab. Aber nicht mal die Vorstellung, diese patentierte sandspurige Passform, zusammen mit dieser halb klebrigen, halb flutschigen Empfindung, sei wie ein Film aus verwesender Scheiße, reichte wirklich komplett aus. In ihm baute sich Spannung auf. Die Einzigartigkeit des Gefühls, seiner Widerlichkeit gegenüberzustellen erzeugte Akzeptanz, die sich dann doch mit dem alles verdrängenden Bedürfnis seine Birkenstocks mit einer Rasierklinge auszuschaben abwechselte. Da ihm der Boden unter den Füßen wegzugleiten schien, umklammerte er die Alulehnen umso fester. Er hatte die Augen geschlossen und die Zähne seines Oberkiefers hatten sich press mit denen des Unterkiefers verkeilt.


„Bekommst du noch was?“


Er machte irgendein Geräusch, dass der Kellnerin bedeuten sollte, dass er nichts weiter von ihr wollte und wandte sich ihr dann direkt zu, sah sie an und fragte:


„Was hat das reiten auf einem Drachen zu bedeuten?“

Kellnerin: „Wie bitte? Ich weiß nicht was du willst.“

Er: „Ich hab mich nur gerade gefragt, was es bedeuten soll, wenn man ein Bild sieht, auf dem jemand auf einem Drachen reitet. Es hat ja nie Drachen gegeben. Warum Drachen? Warum nicht einfach das, was die Drachen auf dem Bild symbolisieren?“

Kellnerin: „Okay. Ich weiß irgendwie immer noch nicht was du mir sagen willst.“

Er: „Nix. Das war eine Frage. Aber egal. Was bekommst du für den Kaffee?“

Kellnerin: „Vier dreißig!“


Er legte fünf Euro auf den Tisch vor sich, stand auf und ging einfach nur weg. Er hatte nicht darüber nachgedacht wohin. Daher ging er erstmal nur weg von diesem Cafe. Weg von diesem Mädchen. Weg von dieser Kreuzung und dem Hippiegirl von gegenüber. Seine Füße glibschten in den Birkis. Sein Kopf dröhnte. Er war sauer, dann amüsiert und im nächsten Moment wieder wütend.


Er ertrug diese Momente, in denen er damit konfrontiert war, dass man ihm scheinbar gar nicht zugehört hatte, kaum. Im Grunde sind solche Situationen ja klassisch. Jeder kennt das. Die gegenseitige Unaufmerksamkeit im sozialen Gefüge ist keinen Erweckungsmoment mehr wert. Aber genau diese standardmäßigen Ärgernisse machten ihn wahnsinnig. Und dass es ihn wahnsinnig machte, machte ihn umso wahnsinniger, da er sich so ordinär vorkam, sich über Dinge aufzuregen, die jedem klar waren. Er brauchte das Gefühl von Gefälle. Eher versehentlich hatte er herausgefunden, dass es eine regelrecht therapeutische Wirkung auf ihn hat, nacheinander in Geschäfte zu gehen, die sich an Verbraucher mit sehr unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten richteten. Und zwar der Reihe nach; vom konservativ-etablierten und Performermilieu, über die bürgerliche Mitte und zu guter Letzt tauchte er bei den Hedonisten ein. Danach fühlte er sich satt, entertaint, befriedigt und als würde er schlafen können, wie ein Kätzchen.




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